Holz auf Holz

Die Architekten der Moderne liebten Stahl und Beton. Nun ist Holz zurück. Und zwar gleich mehrgeschossig. Auslöser für diese Wiederentdeckung ist ein ökologisch motiviertes Umdenken im Umgang mit Materialien. Aber auch eine große Lust, diesen alten Baustoff mit modernen Mitteln noch einmal herauszufordern – vor allem funktional. Was kann Holz, was kann es nicht und was wird es bald können? Warum gibt es noch immer rigide Vorschriften? Und hat Holz wirklich das Potenzial, als Konstruktionsmaterial die Baugeschichte zu prägen?

Holz wächst schnell. Es verbaut sich auch schnell. Jede Woche zwei Geschosse, nach 66 Tagen steht der Rohbau. Das ist eine kurze Zeit. Vor allem, wenn es sich wie bei dem Holzgebäude des kanadischen Architekten Russell Acton und des Österreichers Hermann Kaufmann nicht um ein Einfamilienhaus, sondern um ein 18-geschossiges Studentenwohnheim handelt. Das Brock Commons Tallwood House in Vancouver ist eine modulare Holzkonstruktion, die von zwei Stahlbetontürmen ausgesteift wird. Verbindungselemente aus Stahl finden sich auch in den Auflagerpunkten der Brettsperrholzdecken auf den Stützen. Beide Erschließungskerne bestehen aus Stahl und Beton. Hybridbauweise nennt man diese Art der Konstruktion – wobei streng genommen jedes Gebäude aus verschiedenen Baustoffen besteht. Dennoch bleibt Hybrid ein Schlüsselbegriff für den Holzbau, aber dazu später mehr.

Nachdem Brock Commons im Sommer 2017 als weltweit höchster Holzbau fertiggestellt wurde, gewann es innerhalb eines Jahres rund 15 Preise, darunter drei Auszeichnungen des Canadian Wood Council. Mit seinen stolzen 53 Metern gilt das Studentenwohnheim als Pilotprojekt von internationaler Bedeutung und steht für die technischen Fortschritte und aktuellen Möglichkeiten. Aber nicht nur Größe, auch Innovationen sind gefragt – Holzbau hat bekanntlich eine lange Tradition: entweder mit Trägern, Pfetten, Sparren und Schalung als Fachwerk oder in Massivbauweise als Strick- bzw. Blockbau, der in westlichen Kulturkreisen als eine der ursprünglichsten Bauweisen gilt. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts waren Tragwerke aus Stäben und Platten (Rahmenbau) der Standard, erst die Erfindung von großformatig verleimten Bauteilen aus Holz brachte neue Konstruktionsmöglichkeiten mit sich. Brettsperrholz ist belastbarer und lässt sich als vorgefertigtes Element schnell und unkompliziert vor Ort montieren. Diese Deckenplatten (engl. Cross-Laminated-Timber, kurz: CLT) spannen sich auch über zwei Achsen in den Geschossen des Brock Commons Tallwood House. Auf diese Weise kommen die Deckenkonstruktionen ohne Unterzüge aus. 

Solche Neuerungen sucht auch Hermann Kaufmann aus Vorarlberg, der zusammen mit Stefan Winter von der TU München zu den führenden Holzbauexperten zählt. Der Name Kaufmann ist bereits seit Generationen mit dem Material Holz verbunden, der 63-jährige Architekt stammt aus einer Zimmermannsfamilie im Bregenzerwald. Schon als 14-Jähriger arbeitet er im elterlichen Betrieb und klettert auf Dachstühle. „Vater und Großvater haben es geschafft, alle Söhne und Enkel für den Holzbau zu faszinieren“, erinnert sich Kaufmann. 2013 setzt das Büro Hermann Kaufmann Architekten mit dem Bürobau für das Illwerke Zentrum Montafon neue Standards für den Holzbau und nachhaltiges Bauen. Gerade mal sechs Wochen dauert die Montage der Holzkonstruktion vor Ort für das mit 10.000 Quadratmetern Nutzfläche da- mals größte Bürogebäude aus Holz in Mitteleuropa. Gemessen an der gesamten Bauproduktion in den holzreichen Ländern Mitteleuropas, erklärt Kaufmann 2009 in seinem Essay „Gedanken zur Situation des Holzbaus“, sei der Holzbau noch immer „ein absolutes Nischenprodukt“. Das ändert sich jetzt allmählich. Nicht nur Fachmagazine proklamieren eine Renaissance, auch wenn das Bild Wiedergeburt eigentlich eine falsche Metapher ist. Holz war schließlich nie verschwunden, es passte nur nicht zur Bauweise der Stadt. Die Architekten der Moderne liebten Beton und Stahl. Auch aus ganz praktischen Gründen, denn der zeitgenössische Holzbau kennt immer noch zwei elementare Feinde: Wasser und Feuer. Wobei Wasser ganz klar der gefährlichere von bei- den ist. Kaufmann hat dazu eine klare Meinung: „Holzkonstruktionen müssen vor Wasser geschützt werden, das ist klar. Aber nicht durch eine aufwändige Oberflächenbehandlung, sondern durch die Konstruktion selbst.“ Ein Feuer hingegen könne einem gut geplanten Holztragwerk weitaus weniger anhaben, als angenommen – ganz gleich, ob es pur oder als Hybrid geplant ist. Wasser hingegen lässt hygroskopisches, also Wasser absorbierendes Material wie Holz aufquellen, und wenn es nicht wieder trocknen kann, beginnt es irgendwann zu faulen. Kritisch für Holz als Konstruktionsmaterial ist also nur dauerhafte Feuchtigkeit, die bei vernünftig geplanten mehrgeschossigen Holzbauten eine seltene Ausnahme darstellt. (…)

Eigentlich schade, dass im Holzbau des Alltags die Forschung nur sehr lang- sam in die Praxis vordringt. Holzbauexperte Arnim Seidel, Geschäftsführer vom Informationsdienst Holz aus Deutschland, teilt die aktuellen Beispiele in vier Kategorien ein: Prototypen wie die Experimente von Gramazio Kohler Research, Superlative wie die Tallwood-Bauten, Exoten und Alltagsholzbauten, die eher unsichtbar bleiben, auch wenn gerade diese im Bereich des Geschosswohnungsbaus eine wichtige Rolle spielen. Eine reine Holzkonstruktion wie Shigeru Bans Entwurf für das Schweizer Medienhaus Tamedia ist für Seidel ein Exot fernab alltäglicher Bauaufgaben und erinnert ihn an Steckspielzeug aus dem Baukasten. Der Verzicht auf jegliche Form von Schrauben und Dübeln erfordere zwar viel Holz, biete dafür aber eine „ungewöhnliche Ästhetik“. Auch die Leuchtturmprojekte in Kanada mit 30 bis 40 Geschossen findet Seidel spannend, trotzdem ist er sich sicher, dass Hochhäuser nicht der Holzbau-Alltag sein werden.

Als nächsten praktischen Schritt sieht der Holzbauexperte die Etablierung von Laubholz im Holzbau, bisher wird vornehmlich mit Nadelholz wie Fichte und Kiefer gebaut. Durch den Klimawandel entstehe aber ein Überhang an Laubholzwäldern, da diese mit weniger Wasser auskommen: „Man weiß, dass Fichte und Kiefer in Zukunft nicht mehr so großflächig angepflanzt werden können, wie es noch heute der Fall ist.“ Nur lässt sich zum Beispiel Buchen- holz nicht so einfach verarbeiten wie Nadelholz. „Es ist wesentlich dichter und schwerer und hat außerdem einen hohen Säureanteil, was wiederum die Verleimung beeinflusst“, erklärt Seidel. Auch wenn man auf diesem Gebiet noch viel forschen und sich die gesamte Holzbauwirtschaft umstellen müsse, sind Architekten und Bauingenieure schon jetzt begeistert, weil ihnen die höhere Dichte erlaubt, in schlankeren und feineren Konstruktionen zu denken. (…)

der vollständige Artikel ist 2019 im Magazin F02 erschienen

informationsdienst-holz.de

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