„Ich bin kein Libanese und auch kein Deutscher – ich bin Berliner!“, laut, stolz und selbstbewusst antwortet Hassan auf die Frage nach seiner Nationalität. Als Berliner können sich rund 3,5 Millionen Menschen bezeichnen – auch das Gros der Leute aus dem Publikum. Die meisten hier würden sich diese Frage jedoch wahrscheinlich gar nicht stellen. Sie haben einen Pass, einen festen Wohnsitz, einen Job oder einen Studienplatz. Wir sind in Kreuzberg, in dem kleinen Programmkino Moviemento, in dem am gestrigen Sonntag der neuen Film „Neukölln Unlimited“ von Agostino Imondi und Dietmar Ratsch präsentiert wurde.
Es ist warm und die Luft riecht verbraucht in dem ausverkauften Kinosaal. Vor der Leinwand stehen die drei Geschwister und Protagonisten des Films: Hassan (18), Lial (19) und Maradonna (14). Glücklich und zufrieden sehen sie aus, die drei Jugendlichen aus dem Brennpunkt Neukölln, aber auch etwas schüchtern. Zwei von ihnen haben eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung; der Jüngste wird in Deutschland geduldet, muss jeden Tag mit einer Abschiebung rechnen. Permanenter Psychoterror im Kopf, ein Alltag mit ständigem Zittern – schon über 16 Jahre ist die Familie Akkouch von der Abschiebung in den Libanon bedroht, soll zurück in ihre angebliche Heimat. Doch was ist Heimat? „Wir sind hier aufgewachsen, gehen hier zur Schule, sprechen Deutsch und haben hier unsere Freunde! Wie soll ich jetzt noch Arabisch lernen, das ist schwerer als Deutsch, ich schwöre!“, Lial erklärt ihre Situation mit einer großen Wut im Bauch.
Das Schlimmste für die Familie ist die ungleiche Behandlung: Während Hassan und Lial in Deutschland das nächste Jahr offiziell bleiben dürfen, werden ihre Mutter und ihre kleineren Geschwister nur geduldet – „Wie können sie Familien auseinander reißen?“, fragt Hassan mit einem stillem Entsetzen den Berliner Innensenator Körting in einer Szene des Films. Migranten, Immigranten oder Menschen mit Migrationshintergrund – der Dokumentarfilm thematisiert Schicksal und Alltag der in Deutschland lebenden Ausländer.
„Ekelhaft“ sei das Gefühl, dass jeden Morgen die Polizei vor der Tür stehe könnte. So wie vor fast zehn Jahren, als die gesamte Familie Akkouch zum ersten Mal abgeschoben wurde. Dieses menschenunwürdige Szenario wird als Comic erzählt – ein Trauma, an das die Familie nicht erinnert werden will. Dass die Immigrationspolitik schwere Folgen haben kann, Folgen für Menschen, werde gerne vergessen, schildert Hassan. Seine Schwester erkrankt an eine schweren Bulimie, Maradonna an ADS und am Schlimmsten: seine Mutter erleidet ihren ersten epileptischen Anfall, der von den Beamten ignoriert wird.
„Neukölln Unlimited“ erzählt mit einer fast unerträglichen Tiefe und einem ebenso lebenslustigem Humor das Leben der Akkouchs. Die Jugendlichen flüchten sich in die schallend bunte Welt des Hip Hops, drücken sich mit Hilfe von Breakdance und Gesang aus. Alle drei verfügen über Talent, haben Biss und so auch Erfolg in dem, was sie tun. Harte Beats und schnelle Bilder unterstreichen ihre Lebenssituation. Und von Maradonna lernen wir, dass man Bügeleisen einparfümieren kann, um stets umwerfend gut zu riechen.
Imondi und Ratsch zeigen mehr als einen lebendigen Blick hinter die Häuserfassaden der Neuköllner Karl-Marx-Straße. Sie verzichten auf gängige Klischees oder Pauschalisierungen, und leisten ein großes Stück Integrationsarbeit. Am Ende möchte man die Protagonisten am Liebsten umarmen.
Jeanette Kunsmann, 12. April 2010